Neulich erschien im Hause Springer die Neuauflage der einst bei Ullstein herausgegebenen legendären Zeitschrift die dame. In ihren mondänen Jahren lautete ihr Untertitel „Journal für den verwöhnten Geschmack“, heute steht da „Berlin, est. 1912“.
Es sieht so aus, als habe Die Dame 74 Jahre in der Kryokammer hinterm Archiv geschlummert, um sich frisch zu halten und dann kam ein kapriziöser Bildersammler vorbei und hat sie aufgetaut und ihr die Großbuchstaben weggenommen. Das Heft weiß eigentlich nicht, was es will, außer zu tun, als sei es aufregend. Ich habe mich gefragt, ob das eine Zeitschrift für Herren ist, die sich für Damen halten oder doch etwas, was man der Gattin vom Flughafen mitbringt, weil Blumen sie misstrauisch machen.
Eigentlich habe ich mir geschworen, Zeitschriften, die vor dem Editorial 24 Werbeseiten haben, nicht einmal mehr von hinten zu lesen, aber im Fall der dame war ich interessiert, denn es gab Parallelen zu einem anderen Projekt der Wiederauferstehung eines einst populären Journals – der Sibylle, die es fast vierzig Jahre, von 1956 bis 1995 gab. Nicht ganz so mondän wie Die Dame in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, war sie für die piefige DDR geradezu kosmopolitisch und ästhetisch außergewöhnlich, vom Layout, über die Schrift, bis zum Umgang mit der Fotografie.
Im Fall der Sibylle haben sich die Macher gegen eine Wiederauferstehung und für eine Ausstellung mit Begleitband entschieden. Herausgeber des Buches sind die langjährige Fotografin der Zeitschrift Ute Mahler und Uwe Neumann von der Kunsthalle Rostock, die unterstützt wurden von ehemaligen Mitarbeiterinnen und Wegbegleitern. Bei Hartmann Books haben sie Mitstreiter aus Süddeutschland gefunden, denen die DDR-Zeitschriftengeschichte vollkommen neu war, die aber mit Fotografie in Büchern vertraut sind. Das führt zu einem universelleren Blick, weg von der DDR, der zu einem Zitat passt, das 1994 in einer Modestrecke zum Thema Androgynität fiel: „Sie nimmt sich die Freiheit, zu tun und zu tragen, was immer sie will.“
Das taten bereits die ersten Redakteurinnen. Sie waren aus dem Exil zurückgekommen und an französischen Modezeitschriften und durch die von den Nazis zerschlagene Berliner Modeindustrie der zwanziger Jahre geschult. Die Journalistin Anja Maier beschreibt im Buch die außergewöhnliche Lebensgeschichte der ersten Chefredakteurin Sibylle Boden-Gerstner, die der Zeitschrift ihren Vornamen geliehen hat.
Die Zeitschrift hielt, was ihr Name versprach: Sie orakelte doppeldeutig und konnte in Rätseln sprechen. Das kam Leserinnen und Lesern (ja, die Sibylle hatte auch Leser), die das Doppeldeutige zum geistigen Überleben brauchten, entgegen. Bei der Sibylle hatten keine in Leipzig am Roten Kloster durch das Stahlbad des Marxismus-Leninismus gegangene Journalistinnen das Sagen, sondern Modegestalterinnen und Fotografinnen und Fotografen. Dass die Sibylle als Modezeitschrift für die Funktionäre auch in der DDR unter „Gedöns“ fiel, kam den Redakteurinnen entgegen, die Kontrolle war laxer als bei politischeren Zeitschriften, auch wenn ab und an die Frauenkommission beim Politbüro des ZK der SED ein Wörtchen mitreden wollte. Im September 1967 hieß es von dort, die Sibylle führe „ihre Leser nicht zu einer sozialistischen Lebensauffassung, sondern propagiert vielfach bürgerliche Anschauungen“. Solche Einwände gab es öfter, sie blieben ohne große Folgen.
Im Schatten der Macht ließ sich eine Ästhetik des doppelten Blicks entwickeln, in die Welt und nach innen. „Die Sibylle mag als Modezeitschrift gegolten haben, unpolitisch war sie jedoch nie“, so Ute Mahler. Paradox, dass einige der Fotografierenden sich nicht einmal für Mode interessierten, sondern sie nur als Medium nahmen, ihre fotografische Handschrift zu präsentieren. Das ist ihnen auch gelungen, denn der Fokus der Auseinandersetzung mit der Zeitschrift liegt heute, sechzig Jahre nach dem Erscheinen des ersten Heftes, auf der künstlerisch ambitionierten Fotografie von Sibylle Bergemann, Arno Fischer, Ulrich Wüst, Roger Melis, Sven Marquardt oder Ute und Werner Mahler und weniger auf der Zeitschrift als Gesamtkonzept.
Sibylle war ein Periodikum für Mode und Kultur. Kultur hieß, es gab in jedem Heft eine Feuilletonstrecke: Porträts von Frauen in ihren Berufen, Vorstellungen von Künstlerinnen und Künstlern und ihren Werken, von Galerien und Ausstellungen. Es gab Erzählungen und Essays, zum Beispiel eine Serie über die Geschichte der Berliner Modeindustrie und ihre Zerschlagung im Nationalsozialismus. Auch die „klassischen“ Frauenthemen wurden verhandelt, Rezepte oder Tipps zum Umgang mit Pflanzen, aber der Blick auf Frauen war ganz deutlich ein anderer als in der dame 2017, wo nackte, kopflose Frauenkörper Taschen präsentieren. Nicht wegen der Frauenkommission im Politbüro, sondern wegen der Frauen vor und hinter der Kamera. Zum selbstbewussten Posen gehörte immer ein Gesicht. Es stand oft stärker im Fokus als die Kleidung der Models, die nicht selten fürs Bild aufgepeppte Konfektion aus dem VEB war. (Die Fotografin Helga Paris ist später zu den Näherinnen gegangen und hat sie fotografiert, eine großartige Arbeit.) In den westlichen Modezeitungen musste neben dem Lebensgefühl auch noch ein Stück Stoff verkauft werden, in der DDR verkaufte sich das, was gut aussah und tragbar war, von alleine. Einschließlich der Zeitschrift, die in ihren besten Zeiten eine Auflage von 220.000 hatte. Die Zwänge waren andere. Der größte hieß Mangel.
Natürlich gab es wie in jeder Modezeitschrift ab und an eine Strecke mit Brautkleidern, die hieß zum Beispiel „Versionen in Weiß“ und war von Sven Marquardt, dem später berühmt-berüchtigten Türsteher des Berghain, fotografiert. Es war durchaus so, dass die meisten der berufstätigen Sibylle-Leserinnen auch irgendwann mal heiraten wollten, falls sie nicht schon verheiratet waren, bevor sie ihre erste Sibylle durchblätterten. Und nicht wenige schauen bis heute jedes Jahr zu Weihnachten dreimal hintereinander Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Wenn schon Prinzessin, dann eine, die in Jagdkleidung Tannenzapfen vom Baum schießt.
Das Buch riecht wie früher die Zeitschrift, die meine Großmutter in ihrer Einholtasche vom Kiosk nach Hause trug, wo die Zeitungsfrau sie in den Fächern unter den langweiligen Auslagen mit Ausgaben der Sowjetfrau, der Armeerundschau, der Zeitschrift Der Hund und der Modischen Maschen aus einem Innenfach mit den geistigen Genüssen für die Stammkundinnen holte. Die Zeitungsfrau war unsere Dealerin.
Wer nicht in den Industrierevieren der Provinz aufgewachsen war, wo Pragmatismus und der Schichtrhythmus jede Romantik zunichte machten und wo man für die ästhetische Bildung jenseits des Klassikkanons bis auf Ausnahmen nicht viel übrig hatte, vermag kaum nachzuvollziehen, dass eine Zeitschrift wie die Sibylle für eine junge, kulturinteressierte Frau überlebenswichtig war.
Sibylle war meine Vorschule in Ästhetik, in der sich meine Vorliebe für Fotografie ausbildete. Noch heute kann ich den Bildern der unangestrengt schönen, nicht übermäßig dünnen Frauen in Kleidern aus üppigen, aber leicht fallenden Stoffen vor verfallenen Rauputzmauern viel abgewinnen. Die Models standen in weißen Kostümen neben feixenden Bergleuten mit kohleverschmierten Gesichtern, deren Overalls wiederum 20 Jahre später die Models trugen. Sie standen in Hemden mit riesigen Schulterpolstern vor Gasometern, in roten Kleidern vor bröseligem Beton und auf den Balkons seelenloser Plattenbauten in Pullovern im Countrystil. Hinter ihnen qualmten Schornsteine oder waren verrammelte Eingänge von U-Bahnhöfen, deren Strecken nach West-Berlin führten. Es ließ sich viel hineinlesen, mehr als von den Machern beabsichtigt.
Bis heute haben die Fotografien in ihren ganz verschiedenen Handschriften nichts von ihrem Reiz verloren, während die Models inzwischen bekannte Filmemacherinnen, Fotografinnen oder selbst Zeitschriftenmacherinnen sind. Einige haben nach der Wende auf westlichen Laufstegen gemodelt, die Regisseurin Aelrun Goette gar für Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent. Im Buch erzählt sie, wie groß der Unterschied war: „Die Konkurrenz war Hardcore. Im Osten waren wir eine Truppe, jeder kannte jeden. Im Westen war es nur noch Business, ohne Charme. Das gefiel mir nicht mehr.“
Nach der Wende gab es die Sibylle unter wechselnden Eigentümern noch bis Anfang 1995, zuletzt verlegten sie die Mitarbeiterinnen in Eigenregie. „Die Erzählung, dass gestandene Modefotografen aus dem Westen – wie Jim Rakete und Rolf Gibbs – und auch jüngere wie Joachim Gern, Robin, Esther Haase, Ulrike Schamoni, André Rival das Potential der Zeitschrift sehr wohl spürten und ihm zuarbeiteten, schien denn auch das Gute im bösen Ende auszumachen. Sie wickelt ein offenes Ende aus, in dem Sinne, dass das Scheitern der DDR, das Untergangsszenario, auch eine dialektische Aufhebung hatte erfahren können“, so der Kurator Andreas Krase, der sich lange mit der Geschichte der Zeitschrift beschäftigt hat.
Bis Ostern ist die große retrospektive Schau mit Werken von 13 Fotografinnen und Fotografen, die das Bild der Zeitschrift über ihre fast vierzigjährige Existenz prägten, und einem chronologischen Abriss der Sibylle-Ausgaben in der Kunsthalle Rostock zu sehen. Es ist ein Raum, der kongenial zu den Werken passt; der einzige Museumsbau, der in der DDR-errichtet wurde, ein der Moderne verpflichteter White Cube, von ein wenig Patina überzogen, aber von großer Klarheit, fast Strenge.
„Sibylle – Zeitschrift für Mode und Kultur“. Hg. von Ute Mahler und der Kunsthalle Rostock, Hartmann Books, 336 S., 39,80 €
Ein Beitrag auf 10 nach 8 bei Zeitonline, 7. April 2017