Das ist nicht mein Song, sondern der meiner Mutter. Der Banana Boat Song wurde im Tivoli als Rausschmeißer gespielt. Meine Mutter ist da immer mit ein paar Mädchen nach dem Hockeytraining hin, weil sie verknallt war in den Song oder in die Stimme Harry Belafontes oder in Harry Belafonte, so genau kann sie das fünfzig Jahre später nicht mehr sagen. Sie haben auf den Titel gewartet, sind, wenn er kam, auf die Tanzfläche gegangen, ohne aufgefordert zu werden, und nach dem letzten Ton sind sie nach Hause. Das Tivoli war am Eiskellerplatz hinter dem Elektroverteilerhäuschen. Als ich geboren wurde, schloss meine Mutter das Kapitel ab, das Tivoli wurde ein Lager der HO. Heeejo, deejo.
When you are lone and life is making you lonely, you can always go: Downtown. Meine Mutter wäre 1965, sie war 28, sicher lieber Downtown gewesen, als auf mich aufzupassen, aber erstens gab es Downtown in Magdeburg nicht mehr, das war eine leere enttrümmerte Fläche an der Elbe und zweitens konnte man auch zu Radiomusik tanzen (NDR 2, wenn mein Vater auf der Arbeit war. Er hörte Berliner Rundfunk, falsche Rundfunkstation für englischsprachige Titel.) Ich erinnere mich dunkel an das langgezogene Daaaaauuuntaaauuun, die ganzen sechziger Jahre lang. Eine meiner frühesten Erinnerungen. Es war auch die Zeit, als meine Mutter nachmittags oft Besuch von Freundinnen bekam. Sie rauchten Zigaretten, obwohl sie offiziell Nichtraucherinnen waren, und wedelten den Rauch mit der Hand weg, die gerade frei war. Things will be great, die Zeile war ein Versprechen, aber meine Mutter verstand kein Englisch. In der deutschen Fassung hieß es stattdessen: Vergiß im bunten Neonschein die Stunden deiner Sorgen. Der Neonschein in Magdeburg hatte Namen wie Süße Palette, Sythex, Modische Maschen, Lukullus, Blitzgastronom und Stadt Prag.
Ja, die Beatles, die hatten im Haushalt meiner Eltern den Vorzug vor den Stones. Bei mir schlug das Pendel zugunsten der Stones aus, die es allerdings nicht bis auf diese Liste gebracht haben, um bei meinem Sohn wieder zu den Beatles zurückzukehren. When I was younger so much younger than today, kann auch eine Zweijährige sagen. Help ist mein erstes englisches Wort, weil der gleichnamige Song das Lieblingslied meiner Mutter von den Beatles ist. Und ich noch ihre Stimme höre, die mitsang. Ich spieltemit dem Federballschläger Gitarre dazu. Bin aber letztendlich über zwei Griffe nicht hinausgekommen. Ryba war übrigens das erste russische Wort, weil mein Vater am Wochenende als Weiterbildung immer Russisch für Sie im Fernsehen sah. Help me if you can I’m feeling down. Ja, so geht’s mir 48 Jahre später auch noch, aber die Kunst der Frau besteht darin, wegen Kleinigkeiten nicht um Hilfe zu schreien.
Leider muss ich damit leben, dass ich diesen Song in jenem Jahr wie eine Karaokesängerin ohne Teleprompter performt habe, weswegen dann wegen der Schwierigkeiten mit dem Buchstaben L Siebzehn Jahr b_ondes Haar rausgekommen sein soll. Keine Ahnung, ob ich das Wort Großstadtgetriebe fehlerfrei rübergebracht habe. Ansonsten: Es gibt bessere Songs von Udo Jürgens als diesen Mitlifecrisisquatsch. Er war schließlich doppelt so alt. Ich habe mit 17 meine Haare rot gefärbt, weil allein die Farbe diese alten Knacker auf Abstand hielt, für die ich mich nicht interessierte, die aber der Meinung waren, für wen ich mich interessierte, das bestimmten immer noch sie. 17 Jahr, blondes Haar. Wie find ich zu ihr? Gar nicht.
Die Taiga kam aus dem Westradio. Aber mit 4 hatte ich noch kein Gefühl für die Differenzen. Es war das Jahr, in dem wir in Prag waren. Im Frühling. 1968. Meine erste Reise. Abends, wenn das alte Lied erklingt. Sehnsucht lief im Radio rauf und runter, ein echter Ohrwurm, noch ein halbes Jahrhundert später. Heute habe ich bei Und tausend Ängste, dass ich es versäume, die geliebte Taiga noch einmal zu sehn das Bild der Soldaten aus der nahegelegenen Russenkaserne vor Augen, die vor unserer Schule ihre Militärübungen abhielten, ohne zu wissen, wo sie sich überhaupt befanden.
Was hätte die Frau für Musik machen können mit dieser mythischen Stimme, die dem ganzen Kitsch eine Tiefe gab, die er nicht verdient hatte. Ein Jahr später fuhr sie sich mit einem weißen Mercedes unsterblich. Vielleicht war er auch rosa, das Fernsehen war noch schwarzweiß.
Bei diesem Song bekam ich zum ersten Mal das Gefühl von etwas Größerem, das irgendwo wartete. Ich saß auf dem Sofa und sah Adriano Celentano im Fernsehen singen: Cerco un po‘ d’Africa in giardino, tra l’oleandro e il baobab. Ich suche im Garten nach einem Stück Afrika zwischen Oleander und Affenbrotbaum. Etwas sickerte heiß durch meinen Körper, das mir bedrohlich und anbetungswürdig zugleich vorkam. Viele Jahre später, als ich Paolo Conte für mich entdeckte, stellte ich mit Erstaunen fest, dass der Titel von ihm war. Und seine Interpretation mir näher.
Eintritt in die Schullaufbahn. Mein Leben als Pionier. Zu den Schlagern und Songs aus dem Radio kamen die Lieder, die aus mir einen sozialistischen Menschen machen sollten. Ich stelle immer wieder mit Erschrecken fest, dass ich fast alle noch fehlerfrei singen kann. Und wir lieben die Heimat, die schöne,/ und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört,/ weil sie unserem Volke gehört. Was das schützen anging, war die Metapher so weit, dass das Lied zu seiner Ehrenrettung Ende der achtziger Jahre zu einem Ökosong umgedeutet wurde. (Ähnlich ging es Mein Freund, der Baum von siehe 1968 Alexandra). Angelika Weitz versuchte gar, einen Widerstandssong aus Unsere Heimat zu machen, um ihn den alten müden Männern des Politbüros zu entreißen. Hört sich heute ziemlich peinlich an. Dann lieber das Original.
Mein heutiges Gefühl, wenn ausgewachsene Männer von Mädchen singen, die sie rumkriegen wollen, siehe 1967. Anfang der Siebziger lief dieses Lied von Frank Schöbel im DDR-Radio (bei uns: morgens und am Wochenende, wenn mein Vater die Hoheit über die Radioknöpfe hatte) hoch und runter. Da ich aber den Kinofilm Heißer Sommer mochte, konnte ich das Lied auch gut leiden. Heißer Sommer war ein Farbfilm und Chris Doerk, die Frau von Frank Schöbel, trug in meiner Erinnerung Kassettenkleider, die kurz unter der Scham endeten. Erst später erfuhr ich, dass Schreib es mir in den Sand von der ungarischen Band Omega ist, und Gyöngyhajú lány heißt, auf Deutsch Perlen im Haar. Ich habe die Band 1987 live gehört, am Rande des Kis-Stadions in Budapest. Geld um reinzugehen hatte ich nicht. War auch nicht nötig, draußen war die Stimmung besser. Auch die Scorpions habens für ihre Zwecke und mit Unterstützung von weißen Tauben missbraucht. Seit dem letzten Jahr gibt es eine sehr schön disparate Fassung von Kanye West. Irgendwie scheint es aber auch eine Geschichte aus einer Welt der Untoten zu sein. Seit 45 Jahren singt Omega ununterbrochen dieses Lied auf den Bühnen der Welt und auch Frank Schöbel macht noch jedes Jahr eine Weihnachtstour durch Ostdeutschland. Kein Wind verwischt die Spuren im Sand.
Pionierlieder die zweite. Weil meine Ohren dringend Erholung brauchen und mein Hirn den Sirup satt hat: eine Interpretation von Nina Hagen. Der kleine Trompeter heißt Iki Maska, was immer das auch bedeutet und erschien erst auf Nunsexmonkrock. Hoch und runta ham wa dit jehört, 1982ff. Das war Avantgarde: Komm mit mir du wirst es nicht bereuen. Es war das, was Neo Rauch zehn Jahre später in der Malerei viel gefälliger, sprich marktkonformer, machen würde – die Verbindung von sozialistischer Ideologie und Mickey Mouse, vermischt zu Hardcorepop. wenn dann der kopf fällt, sage ich hahaha ein lustiges rotgardistenblut zisch.
Suzi Quatro oder Smokie, das wäre die Alternative des Jahres 1973 gewesen. Aber im Zweifel immer die Frauen. Damals gab es in der Schule Disko im Musikraum, mit alten Instrumenten und bunten Plakaten an den Wänden. Dazwischen der offen schwule Musiklehrer in seinen weißen Schlaghosen. Ein Hippie, den die Frauen liebten. Erst später habe ich zu würdigen gewusst, wie frei wir doch auch aufgewachsen sind. Dort lief Can the Can. Dose die Dose ein. Wenn du kannst, heißt es im Refrain. Die Texterin hat es angeblich mal so erklärt: Eine Frau sollte in Augenhöhe des Mannes agieren. Ein schwieriges Unterfangen, wenn beide Dosen, die sich ineinanderstecken wollen, gleich groß sind. Also ein durchaus auch heute noch vorhandenes Problem emanzipierter Frauen, die es mit Beziehungen in Augenhöhe versuchen. Und es war doch verdammt gute Frauenmusik, oder?
Zuerst im Radio gehört, drei Jahre später lagen ihre Platten zerbrochen hinten in den Mülltonnen der Stadtbibliothek. Dort holte ich manchmal die gerade verbotenen und deshalb entsorgten Bücher und Schallplatten raus. Eine Platte konnte ich noch retten. Hallo Nr. 4, ein Sampler von Amiga in Popart-Aufmachung mit drei Titeln von Renft und zwei von den Puhdys. Die gelbe Straßenbahnballade war nicht dabei. Renft wurde verboten, die Puhdys machten Karriere und lebten gesund. Dafür kannte ich von Renft alle Texte auswendig. Sechs Jahre später nachts, ein Mädel und ein junger Mann, in der Straßenbahn, T 57 aus Gotha, auf alten Gleisen fährt die Bahn, fiel mir der Song wieder ein.
Mit dem Schulchor Auftritt in der Stadthalle. Wir singen das italienische Arbeiterlied in Italienisch und Deutsch. Der Musiklehrer siehe 1973 hatte mit der Auswahl einen klugen Kompromiss geschlossen, ein Arbeiterlied, aber fetzig. Das konnte leicht als Eurokommunismus abgetan werden. Heute, wo ich etwas Italienisch verstehe, finde ich beachtlich, dass wir da gesungen haben: Evviva communismo e liberta. Es lebe der Kommunismus und die Freiheit. Sozialistische Vereine drucken den Text heute mit der Zeile Evviva socialismo e liberta. Ernst Busch sang Evviva pace e liberta. Die Fassung hier ist ohne Text.
Das peinlichste Lied ever und ever, um es mal im Sound der Gegenwart zu sagen. Muss hier rein, weil es die erste Schallplatte war, die ich mir selber kaufte und rauf und runter hörte. Es war die Zeit, als die Liebe auf die Erde kam und ich auch so sein wollte wie die anderen Mädchen, die schon rumknutschten. Das Problem des Liedes jenseits der Scham: Eva Fritzsch sollte nicht versuchen, in dieser Oktave zu singen und er, Arnold Fritzsch, hat diese penetrant optimistisch hell klingende Stimme, die auch die Nachrichtensprecher hatten: Alles wird gut, schau auf das Positive, es gibt keine antagonistischen Widersprüche bei uns. Die nächste Platte konnte nur besser sein, zumindest ästhetisch.
Auf Abba konnten sich alle einigen. Alt und Jung, Ost und West, Frauen und Männer. Letztere vielleicht weniger, bis auf den siehe 1973 siehe 1974 Musiklehrer. Wir haben viel und heftig nach Abba getanzt. Ich freue mich heute noch, wenn durch Zufall ein Abba-Lied meinen Weg kreuzt. Mit Erstaunen habe ich festgestellt, dass meine Ziehtochter, fast im gleichen Alter wie ich damals, 25 Jahre später Abba hörte. Ein Revival ohne Band.
Mein erstes Konzert, ich war fast 15 und durfte hin, weil es relativ früh am Abend war. Für 4 Mark. Es war wenige Monate nach dem tödlichen Autounfall zweier Bandmitglieder, Henry Pacholski und Gerhard Zachar. Der Sänger auf der Bühne war ein anderer als auf der Schallplatte, der tote war der bessere, bis heute finde ich das. Die Lieblingslieder der Band wechselten, dies blieb, zeitlos, Aus dem Haus gehen, weg, die Wärme mitnehmen, mit den Vögeln als Komplizen – das waren Fluchtträume, die bis in die Gegenwart reichen. Und sie lief über sieben Berge und sie lief, lief bis an ans Meer, das konnte nicht die Ostsee sein. Heute ist das nicht mehr wichtig, die Metapher war größer als die DDR. Weniger als drei Minuten, dann ist die Frau weg. Als ich die erste finnische Birke traf, habe ich ihr das Lied vorgesungen. A capella, die Geigen sind sowieso etwas zu penetrant.
Mit 15 sehe ich mich nachts im Bett liegen und das Lied im Radio hören. Irgendwann gelang es mir, es mitzuschneiden. Aus Neugier auf den Inhalt versuchte ich, mein Englisch zu verbessern, genau wie bei Joni Mitchell siehe 1985 und Patty Smith siehe 2013. Die griechische Mythologie sollte mich dann die ganzen langgezogenen Jahre bis 1989 beschäftigen. Die Schallplatte, eine jugoslawische Pressung, sparte ich mir 1982 in Budapest vom Munde ab. Acht Jahre nach der ersten Nacht mit den Doors saß ich in einem Hochhaus in Marzahn und zelebrierte eine Jim-Morrison-Messe bei meinem Lieblingsdozenten. There’s danger on the edge of town/ Ride the King’s highway, baby. Es war nichts der Kings Highway, sondern die Allee der Kosmonauten, und baby war auch nicht dabei. Mit MorrisonMitchellSmith & Young gewann der Eigensinn die Oberhand, da konnten noch soviele Arme aus dem Grab wachsen und die Mutter mit der Rute drauf schlagen müssen. Als ich 1991 vor Jim Morrisons Grab in Paris stand, hörte mein Fantum auf, ich weiß auch nicht, warum. No safety or surprise, the end.
Nach The End die Ermutigung. Im Zirkel schreibender Arbeiter, wo es nur einen Arbeiter gab, aber egal, lernte ich einen ein Jahr Älteren kennen, der schon mal ein Lied von Wolf Biermann gehört hatte. Die Herrschenden erzittern. Nachdem er mich ein Jahr geprüft hatte, ein sehr ernsthafter junger Mann, brachte er mir ein Tonband mit. Neben Biermann waren auf dem Band noch Lieder von Heinz Rudolf Kunze und Bettina Wegner. Kunze habe ich öfter gehört. Aber Biermann war wichtiger. Heute ist es keiner mehr von beiden. Der Motor des alten Tesla-Tonbands ging irgendwann kaputt und ich musste mit dem Finger das Band drehen, in der gleichen Geschwindigkeit, wie der Motor es getan hätte. Manchmal war ich zu langsam, dann wurde die Stimme tiefer. Irgendwann war es mir leid.
Summertime, time, time/ Child, the living is easy …Until that morning/ Honey, nothing’s going to harm you now. Die erste Erinnerung: G. und ich in ihrer Wohnung in Dresden, ein Matratzenlager, wir liegen Kopf an Kopf. G. sagt, du siehst aus, wie die junge Janis. Heute denke ich, es lag daran, dass ich genauso angezogen war und mir die Haare im Gesicht hingen. Auch konnte ich so lachen wie sie, wenn ich besoffen war. Die zweite Erinnerung, sieben Jahre später. Premiere des Films Winter adé beim Dokumentarfilmfestival in Leipzig. Die letzte Szene, mitten im Winter in Sassnitz, die Fähre löst sich vom Ufer und Janis Joplin singt. Summertime. Was damals wie eine Verheißung auf eine bessere Zeit klang, abgesehen davon, dass die Sängerin tot war, stellt sich bei genauerem Hinhören doch wie das Ende einer komfortablen, aber langweiligen Zeit dar. No, no, no, no, don’t you cry.
Griechische Wochen, Mikis Theodorakis gelangte auf den Plattenteller und blieb dort in Intervallen. Und es kamen die griechischen Dichter. Odysseus Elytis zuerst, später vor allem Jannis Ritsos. Nie, ihr beiden, bitte nie, bringt mein Land in Vergessenheit. Griechenland interessiert mich nach wie vor. Leider singt Günther Emmerlich, der changierende Opportunist vor dem Herrn.
Zweiter Stock, vierter Hinterhof, neben mir wohnt ein Philosoph, Fenster auf, ich hör Türkenmelodien, ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin. Das schallte auch über den 2. Hinterhof in der Schönhauser Allee jenseits der Mauer. Ich fühl mich gut – ja und nein. Irgendwie depressiv. In der Nacht vom 19. zum 20. Geburtstag fragte ich mich, was das triste Leben hier bringen soll. Habs mir dann doch noch mal anders überlegt. Ich steh auf Berlin, das blieb bis heute, wo Personal und Kundschaft in dieser Wirtschaft bis auf die Klofrau ausgetauscht ist. Und die muss ihr Trinkgeld an die Leiharbeitsfirma abgeben.
Nicht der Titel von Silly, den ich besonders mag, da gibt es andere, aber es ist das Lied, was am Ende am meisten mit meinem Leben zu tun hat. Mont Klamott, der Trümmerberg im Volkspark Friedrichshain und die Trümmerfrauen. Neulich sitz ich mit ’ner alten Dame auf der Bank. Wie reden über dies und das. Hab ich dann zwanzig Jahre gemacht. Die Mütter dieser Stadt ham den Berg zusammengekarrt. Seitdem weiß ich, an welcher Stelle des Berges die Trümmer welchen Hauses liegen. Fällt unter die Kategorie „Unnützes Wissen“. Die alte Dame lächelt matt.
Bei dem Lied ist mir sofort kalt, weil der Ofen in der Hochparterre Nordseitenwohnung in der Schliemannstraße nicht zog, das Haus stand auf Entmietung, mein Status war aber noch nicht klar, Besetzerin oder Mieterin, so dass ich alleine mit einem Alkoholiker im Haus hauste. Ab und an bekam ich Besuch, zum Warmwerden. Die schönsten Eisblumen an den Fenstern, die ich je gesehen habe. Ja, damals gabs noch Winter, aber nur weil die Wohnungen schlechter warmzukriegen waren. Hauptsache, der Strom bleib nicht weg, wegen Plattenspieler und Wasserkocher und ein wenig Licht zum Lesen. Help me, I think I’m falling/ In love with you. Ging auch schief.
Ich wusste lange nicht, dass das ein Drogenlied ist. Klingt erst so harmlos mit dem Sangria und dem Zoo und dem Kino and than home. Eine Zeit, die bleiern war. Lauter perfekte Tage im Menschenzoo. Ab und an kam einer abhanden, ein Kernkraftwerk explodierte, Atomraketen warteten auf den Abschuss, Langeweile betäubte in Ermangelung härterer Drogen alles. Just a perfect day/ you made me forget myself.
Schwierige Zeit. Wegkreuzung. Rechts ein Abgrund, links ein reißender Fluss, Rückzug unmöglich. Der schlimmste Traum: Ich soll mich selbst als Tote identifizieren, damit die Fährleute den Körper über die Lethe bringen können. Ich lehne das ab: Die Tote ist eine andere.
Hier könnten auch die Requieme von Brahms und Mozart stehen oder die Winterreise. Aber letztendlich war es immer die Todesarie der Dido, die am wirksamsten die Gespenster verscheuchte. Forget my fate.
Einer der wichtigsten Momente in meinem Leben. September 1988, Werner-Seelenbinder-Halle. Rio Reiser. Die ganze Halle, auch ich, singt laut und deutlich: Dieses Land ist es nicht. Alle anderen Lieder, die heute angeblich für Umbruch, Wende oder Revolution stehen, sind für mich Kitsch.
Lange stand auf dieser Liste Twist on my Sobriety von Tanita Tikaram, das damals im Radio Ost wie West hoch und runterlief, aber bei genauerem Nachdenken war es dann doch Suzanne Vega. Weil mich an diesem Lied elektrisiert hat, dass Stimme, Sound und Text auf größtmögliche Weise nicht übereinstimmen. Die (oder der) Luka aus dem Stockwerk drüber entschuldigt sich für die häusliche Gewalt, die gegen sie oder ihn ausgeübt wird. If you hear something late at night/ Some kind of trouble, some kind of fight/ Just don’t ask me what it was.
Luka könnte das erste Lied meines Sohnes sein, falls er in 25 Jahren selbst mal so eine Liste macht. Aber vielleicht entscheidet er sich ja auch für Twist on my Sobriety.
What is behind that Curtain? Das war für mich Anfang 1990 die Frage aller Fragen, und da fällt mir sofort Johannas Frage im Stück Schubladen ein: Wie glücklich warst du 1990 auf einer Skala von 1-10, und meine Antwort ist: Anfang 1990 10, Ende 1990 1. Und was war hinter dem Vorhang? Eine Vorstellung in Endlosschleife von Viel Lärm um nichts! Naja, wenigstens Shakespeare.
Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich die Band für eine aus dem Osten gehalten. Zu trinken gab es nie zuviel und abends wußt ich immer, wo Du warst. Was haben wir gelacht, damals hinterm Mond. Genau so war es, genau so. Fällt das Zitat jetzt schon unters Leistungsschutzrecht? Aber ist das nicht von mir? Als Video spielt sich in meinem Kopf immer eine Fahrt auf der B1 ab, mit wechselnden Fahrern, die aber in der Zeit Rollen in meinem Leben hatten, der eine bis heute.
Eigentlich zuviel Mainstream für diese Liste. Aber ich mag es. Ich mag es immer noch. Und es passt genau zu meiner Vorliebe für Borderliner in der Kunst, die es nicht bis zum 30. Geburtstag schafften. Siehe siehe 1979 siehe 1981 siehe 2008. Ich war ja damals auch erst 29. Die beste Coverversion ist übrigens von Patti Smith siehe 2013, der großen Überlebenden. Die von der Bolschewistischen Kurkapelle war in ihrer Schrägheit auch nicht schlecht.
Happiness is like TV: Depressivität abgewechselt mit Punk oder den Faxen der Rrriot Girls (gabs die schon 93?). Scheiß drauf, Fucking gut. Immer noch, aber etwas hindert mich daran, es allzu oft zu hören. Steht hier stellvertretend für Tori Amos, Lydia Lunch, Joanna Newsom, Anne Clark.
Dieses Lied ist großartig, um den Kopf durchzulüften und sich durchzuschütteln. Mit nackten Beinen in Cowboystiefeln. Immer noch, immer wieder. When they get what they want/ They never want it again: Für dieses Lied trifft es nicht zu. Man muss dazu nichts wissen über Courtney Love. Der Mann, der es mir zum ersten Mal vorspielte, war einer der schönsten, die ich je kennenlernte. Er starb mit 30, nicht an Drogen.
Eigentlich hätte er seit Wim Wenders Der Himmel über Berlin fast jedes Jahr ein Lied auf der Liste verdient, oder er könnte sich mit PJ Harvey abwechseln oder gleich das Duett Henry Lee singen. Den Text des Shipsongs habe ich mal nachgeträumt, den Traum verschickt, was wie ein Liebesbrief aussah. Come sail your ships around me and burn your bridges down. Es begann eine Beziehung, die ich mit siehe 2005 beendete.
Die einzige Band, die ich je hatte, obwohl ich nicht singen kann. Mein Vater machte sich mehr als zehn Jahre lustig über Salem Rot, er meinte, wir seinen wie alle Bands, die in der Garage auf den großen Auftritt warteten, der nie kommt. Auftritte hatten wir schon, große nicht. Meist in Abrisshäusern, Kneipen oder Kulturhäusern mit wenig Publikum. Mein Bückling verharrt. Das bin ich. Mit doppelt verbogenem Rückgrat. Nun schwimm. Das Ende der Band fällt zusammen mit der Zeit, als ich aufhörte, Gedichte zu schreiben. Das eine hat, auch wenn das auf den ersten Moment so scheint, mit dem anderen nur wenig zu tun.
Das Lied hat mich irgendwann überfallen, hinterrücks. Ich glaube, die Bolschewistischen Kurkapelle hat es gespielt, genauso schräg der Bläsersatz, wie es auch von den Romafrauen gesungen ist. Ich finde, es ist ein angemessenes Lied für die Beerdigung. Eigentlich aber ist es ein Feierlied anlässlich des Sankt-Georgs-Tages, auf Romanes Ederlezi genannt. Alle Roma, Vater, opfern ein Schaf, heißt es da auf Romanes. Den Film Zeit der Zigeuner von Emir Kustorica habe ich meines Wissens nie gesehen.
Im mittleren Teil der Neunziger habe ich viel Zeit mit quasiharten Jungs verbracht, die, wenn sie sentimental wurden, so was hörten. Erinnert mich daran, dass in der Zeit noch mit Degen gefochten und nicht hinterm Rücken gemessert wurde. Kurz danach war das auch vorbei und ich ging meiner Wege. Meine Sympathie für Metallica wurde vier Jahre später im Trockeneisbehälter abgekühlt, nachdem die Band nichts dagegen hatte, dass ihre Musik als Folterinstrument im Gefangenenlager Guantanamo benutzt wurde. Careful what we do.
Es hätte jetzt auch John Lurie sein können, eigentlich steht der Titel stellvertretend für den Soundtrack in Jim-Jarmusch-Filmen, der mich jedes Mal elektrisiert, auch wenn der Film dahinter verblasst, wie zuletzt Only Lovers Left Alive, was nicht an Tilda Swinton lag.
You’re frozen/ when your heart’s not open. Ich bin kein Madonna-Fan, aber ich habe Respekt vor ihrer Lebensleistung, wie ich Respekt vor Angela Merkel habe. Geschäftsfrauen, die sich gegen alle Widerstände alter Netzwerker durchgesetzt haben. Frozen ist das Lied zu meinem Roman Moskauer Eis. Es gibt für jeden Roman einen Soundtrack, der neben der Produktion läuft. Allzuviele Lieder gab es nicht zum Thema. Ice Cream vielleicht noch, aber das Lied mag ich nicht, weil es zu nahe liegt. Mmm-mm-mm… If I could melt your heart. Hätte. Könnte. Sollte. Aber dann habe ich mich verliebt. Ging dann als Sound für eine unglückliche Liebe durch. You only see what your eyes want to see //How can life be what you want it to be.
Ich war sofort bezaubert, von der Atmosphäre, der Ausstattung, der Frau, gespielt von Maggie Cheung, die in den schönsten Kleidern, die ich je in einem Film gesehen habe, in den Keller der Garküche steigt, um ihre Portion Reis zu holen, hingezogen zu dem Mann, dessen Frau mit ihrem Ehemann ein Verhältnis hat. Es geht nicht gut aus, sie schrammeln haarscharf aneinander vorbei. Und gerade deshalb ist es schön. Bei diesem Lied gehe ich im Kopf immer nachts aus dem Kino allein nach Haus.
PJ Harvey. Acting like lovers. Auf allen Mixkassetten, die ich seit 1993 für Geliebte, heimlich Geliebte und Verabschiedete angefertigt habe, war ein Lied von ihr. Dies hier habe ich in Endlosschleife gehört, als ich mit dem Bus Nr. 4 durch Manhattan gefahren bin, nach New York gelockt von Peter Jung. Immer und immer wieder. When you said something/That I’ve never forgotten. Seit 2002.
Eigentlich habe ich auch 2003 am liebsten PJ Harvey oder Nick Cave gehört, aber hinten rum hat sich auch Radio Head angeschlichen und den dritten Platz behauptet. Als Hintergrundrauschen am Arbeitsplatz habe ich dann aber oft die Interpretation durch einen Mädchenchor vorgezogen. Bei Scala kommt das: I’m a creep, I’m a weirdo, dieses ganze widerliche Spinnersein, glaubhafter rüber. Außerdem ist mir die CD von Radiohead abhandengekommen.
Es begann die Zeit, in der mein Sohn und ich unabhängig voneinander dieselbe Musik hörten. Ich musste viel verreisen und er erwachsen werden. Über die Red Hot Chili Peppers blieben wir in Verbindung. Ich hörte sie im Flugzeug, als die Turbulenzen über Brasilien so groß waren, dass die Leute um mich herum sich bekreuzigten. Ich tanzte dazu auf dem Sonnendeck eines Wolgaschiffs zwischen Uljanowsk und Saratow. Und als ich nach Hause kam und den Koffer im Flur abstellte, lief es auch da.
Rammstein habe ich immer dafür bewundert, dass sie als einzige von uns den Kapitalismus sofort verstanden haben und gnadenlos und weltweit auf Menschenfang gegangen sind, öffentlich auf den herrschenden Kanon von Ästhetik und Moral scheißend. Ohne dich ist ein Lied zu einem langen Abschied, der dann kurz und schmerzhaft zu Ende gebracht wurde siehe 1995. Als Abschiedslied wäre auch Element of Crimes Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei in Frage gekommen, das zur selben Zeit erschien. Aber nur auf Rammstein hatten wir uns zwei irgendwie einigen können. Die Texte sind meistens großer Mist, der hier geht. Naja, die Zeile Ich werde in die Tannen gehen ist auch nicht so die große Lyrik.
David Sylvian trat wie Lohn Lurie, Steve Reich, Arto Lindsay, Heiner Goebbels, und Iva Bittova über den Kopf in meine Musikwelt. And your heart feels so wide And your heart fills so strong. Jeder von ihnen ist ab und zu für Momente wieder wichtig. Selten Trost, eher Nahrung für den Kopf. It’s a wonderful world/ As the buildings fall down. Hochartifizielle Gebilde, jede Note wohlüberlegt, wie die Texte. Sometimes he whistles while walking.
Wer glaubt, dass dieser Walzer von Johann Strauß ist, wird eines Besseren belehrt. Weil er nämlich von Schostakowitsch ist. Ein Walzer für Jazzorchester. Ich sehe beim Hören vor mir immer Eiskunstläufer auf einer Kunsteisbahn, aber vielleicht auch deshalb, weil das die Zwischenbilder aus dem Studentenfilm Berliner Reigen waren, in dem dieser Walzer die Filmmusik war, die den Reigen weitertrieb. Es muss ungefähr die Zeit gewesen sein, als ich von Schöni in die Kapelle des Neuen Bartholomäusfriedhofs entführt wurde, wo er mir auf dem Harmonium Teile der Leningrader Sinfonie von Schostakowitsch vorspielte, während ich auf dem Platz lag, wo sonst der Sarg steht.
Sie hat mich elektrisiert, seit ich sie das erste Mal hörte. Diese Stimme zu diesem schmalen Wesen, das mich an Miki in New York erinnerte, wenn sie noch jung und auf Drogen gewesen wäre. Aber derselbe Hunger nach Leben. Noch war die eine 50 Jahre älter als die andere. Und die andere starb dann schon mit 27, den Tod von siehe 1979 siehe 1981 siehe 1992. Natürlich gehört auch Jimi Hendrix in die Reihe. Eine ganz schöne (Quasi-)Selbstmordstatistik, zählt man noch Sylvia Plath, Anne Sexton, Inge Müller und Ingeborg Bachmann aus der Literatur dazu. Und Philipp Seymour Hoffman. Hm, das sollte ich vielleicht lieber für mich behalten. Fliege ich sonst noch mit 85 aus der Krankenkasse, weil ich immer noch lebe.
Lange stand ich mit Techno auf Kriegsfuß. Als er seine beste Zeit hatte, musste ich mich entscheiden, womit ich meine knappe Zeit abends verbrachte. Ich wählte für Kino, Theater, Lesungen, Kneipe, nicht Tresor oder Bunker. Auch mochte ich andere Drogen als Drogen. Aber irgendwie hat mich der Film Berlin Calling, als ich ihn das erste Mal in einem Uniseminar in Nottingham sah, seltsam elektrisiert. Ja, auch das war mein Berlin. Und der Sound stimmt.
Eine wunderbare Begegnung, nicht nur mit den verrückten Schwestern und ihren seltsamen Instrumenten und Stimmen, auch mit dem, der mir diese Begegnung verschafft hat. Körperlos. Ich habe mir extra wieder einen Plattenspieler gekauft.
In jenem Jahr hatte ich meine erste Begegnung mit Istanbul. Hüzun, diese seltsame Form der Melancholie und die Sonnenuntergänge über dem schmutzigen Marmarameer, ein Platz zum Verweilen. Crossing The Bridge von Fati Akin war der richtige Sound dafür.
Im Kiasma in Helsinki wurde ich magisch angezogen von einem Video von Sergey Bratkov. Es zeigte nichts weiter als eine kurze Sequenz: Ein völlig heruntergekommenes Freibad, es könnte auch ein Hafenbecken sein, irgendwo in der Ukraine, und sechs Jungs, die mit einer Ausgelassenheit ins Wasser springen, die die ganze Tristesse der Umgebung und das brackige Wasser, in das sie springen, vergessen lassen. Der Soundtrack ein Lied, das ich lange suchen musste. Dlya Tebja, Für Dich, über zwei, die sich mit Waffen und gemeinsam einen Weg in den schönen Schein bahnen. Teilhabe über den Umweg der Gewalt, der für sie der einzige ist. Четыре пистолета: два кольта, две береты/ Последний поцелуй, пора бежать…
Aber eigentlich ist es eine Erinnerung an das Glück, dass es mit 48 noch gelingen kann, Freundschaften fürs Leben zu schließen.
Neil Young hat seinen Platz in meinem Leben Ende der siebziger, der Begleiter der ersten Räusche und der ersten Küsse. Abgelöst wurde er von Patti Smith. Die Liebe zu ihr ist eine beständige, einmal sah ich sie über die Spree singen, nur für mich, die am anderen Ufer stand. Ich mag ihre Musik, ihre Texte, ihre lässige Art sich zu kleiden und eine Frau zu sein, ohne auf irgendeinen Kanon Rücksicht zu nehmen. Klugheit, Würde, Kraft und Kreativität. Ihr Understatement, ihre Gelassenheit. Eine hart errungene Freiheit. So wie sie könnte man alt werden.